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Womit spielt der Künstler?
Jugendkultur und Medienkunst

Auch wenn die Heterogenität der Erscheinungsformen der aktuellen Jugendkultur nicht ihre eindeutige Abgrenzung und Bestimmung ermöglicht, so soll hier der Versuch unternommen werden zu erläutern, in wieweit Jugendkultur und Medienkunst miteinander verknüpft sind. Dies vor allem, um zu vermitteln, dass sich die Ausstellung von und Reflektion über Medienkultur und -kunst einem jugendlichen Publikum verstärkt öffnen sollte, dass – wie sich aufzeigen lässt – weitgehend mit den Themen und Medien der digitalen Kultur vertraut ist.

Jugendkultur erhält ihre Relevanz gerade durch den beständigen Wandel, der Jugendlichen die Abweichung von etablierten Lebensentwürfen ermöglicht. Dabei ist es aufgrund des gesellschaftlichen Wandels schwierig geworden, die Protagonisten der Jugendkultur aufgrund ihres Alters zu bestimmen: Wo in früheren Zeiten Schritte wie Auszug aus dem Elternhaus und erste Erwerbstätigkeit den Übergang von der Jugend zum Erwachsenenleben klar markierten, existiert heute eine Vielzahl von Lebenskonzepten, die von einem „weichen“ Übergang von der Adoleszenz in das autonome Erwachsensein geprägt sind. Entsprechend lassen sich einige der sozialen Spielarten und Merkmale der Jugendkultur auch noch bei jungen Erwachsenen, den „twenysomethings“, aufzeigen.
Die Forschung über Jugendkultur fokussiert in erster Linie auf zwei Aspekte: einerseits auf ihre fortschreitende Kommerzialisierung, die die Jugendlichen oft als entindividualisiertes und wehrloses Ziel von Marketingstrategien und kulturindustiereller Vereinnahmung präsentiert, andererseits auf ihre Ausdrucksformen von Protest und Provokation, die sich gegen die Konvention richten. Diese beiden Themenfelder spiegeln sich auch in den Untersuchungen und Berichten zum Gebrauch und Verständnis digitaler Medien in der Jugend.

Der generationsspezifische Umgang mit digitalen Medien wird oft ebenso gegensätzlich bewertet wie zum Beispiel die viel diskutierte Wirkung von Ego-Shooter-Spielen auf die Psyche und das Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen. Viele Autoren wie Don Tapscott sehen in den jetzt Heranwachsenden eine „Generation des Internet“, die sich mit angeeigneter Kenntnis und großer Selbstverständlichkeit der neuen Kommunikationsmedien bedienen. Trotzdem kann angenommen werden, dass nur ein geringer Prozentsatz der jugendlichen Internet- und Computer-Nutzer tiefergehendes, informationstechnologisches Wissen besitzen und über das einfache Kommunikationspotenzial des Rechners hinaus die Möglichkeiten des vernetzten, digitalen Systems erkennt. Tatsächlich sind sachkundige Jugendliche, die soweit in die Technik vordringen, dass sie zum Beispiel in Rechner-Netzwerken durch Virenprogramme Schaden anrichten können, eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Individuen, die so Armin Medosch „eine relativ neue, technologische, unangepasste, bisweilen störrische, störende und zerstörerische Jugendkultur“ repräsentiert. Und die damit gegen den Mainstream in der digitalen Kultur agiert, den die Masse ihrer Altersgenossen leben. John Horvath weist darauf hin, dass sich bei den zahlreichen Geschichten über geniale Computer-Kids, die Erwachsene mit ihren Programmierkenntnissen verblüffen und ganze Firmen durch Internet-Attacken lahm legen, vor allem um Mythenbildung handelt, die ganz im neo-liberalen Geiste steht. Horvath zeigt auf, dass Kinder und Jugendliche zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der Computerindustrie und dem Online-Markt geworden sind und das Internet in erster Linie für Konsum, Spiel, Information und Kommunikation nutzen.

Das Spiel auf der Konsole und dem Computer sowie der Chat stehen immer noch unter dem dringenden Verdacht, soziales Verhalten negativ zu beeinflussen, auch wenn nicht alle wissenschaftlichen Studien zu diesem Ergebnis kommen: So wird beispielsweise der Chat auch als Ergänzung und Bereicherung von persönlichen Beziehungen oder gar als eine „eigene Spielart von Jugendkultur“ ausgewiesen.

Junge Konsumenten, daran besteht kein Zweifel, sind die Hauptzielgruppe der Hersteller digitaler Produkte. Um diese an Jugendliche in Massen zu verkaufen, gebiert eine ganze Industrie ständig neue Designs und Features, immer bemüht die ästhetischen Vorlieben und Bedürfnisse der Heranwachsenden zu treffen. Auf diese Konsumentengruppe zugeschnitten erreicht eine große Anzahl von digitalen Fabrikaten den Markt, und findet dort technikhungrige und konsumbereite Kinder und junge Erwachsene.

Man muss sich also zwangsläufig von dem vielleicht lieb gewonnen Bild einer Jugendkultur verabschieden, die nicht mit Massenkultur konform geht und sich gegen letztere abzugrenzen versucht. Gleichwohl gilt es, mit unverstelltem Blick zu untersuchen, wie die jungen Konsumenten aus ihrer Rolle als unkritische Mediennutzer gelöst werden können und ihnen mehr Hintergrundwissen vermittelt werden kann, das sie im weiteren befähigt, bewusster und kreativ mit den neuen Technologien umzugehen.

Künstler und Kreative, die sich für die neuen Medien und Technologien als ihr Ausdrucksmittel entschieden haben, nutzen unter anderem auch digitale Konsumprodukte für ihre künstlerische Arbeit. So entstanden Ende der neunziger Jahre beispielsweise die ersten künstlerischen Projekte auf der technologischen Basis von Computerspielen. Dieser Tage zeugen Ausstellungen wie „games. Computerspiele von KünstlerInnen“ oder „GameArt“ von der weitreichenden Auseinandersetzung der Künstlern mit eben dieser interaktiven, narrativ-ludischen From der Unterhaltung. Dabei zeigen sich unterschiedliche künstlerische Praktiken wie das Eingreifen in die Spielsoftware, das Aufgreifen und die Interpretation typischer Spielelemente oder die Kreation neuer (Kunst-)Spiele.

Dass digitale Massenprodukte wie Computerspiele oder Mobiltelefone in die Kunst Einzug halten und Gegenstand künstlerischer Reflektion werden, hängt sicherlich mit mehreren Faktoren zusammen: Basis dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass digitale Produkte eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft erfahren, den gesellschaftlichen Wandel mitbestimmen und somit natürlicher Weise Thema künstlerischer Auseinandersetzung werden. Zudem gehören die Künstler zum größten Teil derjenigen Generation an, die mit diesen Produkten selbstverständlich in Berührung gekommen ist und mit ihnen essentielle Erfahrungen und Emotionen in ihrer Adoleszenz verknüpft. Die begrenzte, auf den Massenkonsum zugeschnittene Funktionalität der Maschinen und ihrer Programme übt auf sie den Reiz aus, die vordefinierten Strukturen und Funktionsweisen der Programme zu erweitern und ihnen neue, individuelle Eigenschaften zu implementieren.

Die Erkundung und Eroberung von Raum, für die meisten Spiele elementar, scheint eines der wesentlichen Bedürfnisse von Heranwachsenden zu sein, und die Entwicklung der postmoderne Fähigkeit zu unterstützen, sich in chaotischen und flüchtigen Umgebungen zurechtzufinden. Gefordert wird diese spezielle Fähigkeit beispielsweise bei der Bedienung der künstlerischen Arbeit „retroYou r/c“ von Joan Leandre, der in die Software eines gewöhnliches Computerspiels eindrang und die ursprüngliche virtuelle Umgebung so veränderte, dass der Prozess der räumlichen Erkundung erschwert und zu einem rein ästhetischen Erlebnis gewandelt wird.

Die Exploration des Raumes, nicht zuletzt des realen, urbanen Raums, spielt in der Jugendkultur beim Skaten eine zentrale Rolle. Selten war daher eine künstlerische Arbeit mehr Ausdruck aktueller Jugendkultur wie das Video des damals 21-jährigen Fan Yuk Man. „Born in HK with my own Technics 2000“ zeigt die Realwelt des jungen Hongkong-Chinesen: das Skaten, den Hiphop, die Freude und das urbane Lebensgefühl im allgemeinen. Der Körper, ein zentrales Element der Jugendkultur, ebenso wie die Musik, werden kreativ eingesetzt und zum Ausdrucksmittel, so auch die beobachtende Videokamera selbst, die ein ganz selbstverständlicher Teil der Lebenswelt der Jungs ist.

Der kulturelle Wandel durch neue Technologien hat nicht zuletzt auch die Musikproduktion und -rezeption massiv verändert. Während in früheren Zeiten das Erlernen eines Musikinstrumentes unumgänglich war, hat heute der Rückgriff auf bereits produziertes Material und die Bearbeitung mit Audiosoftware zu großen Teilen die traditionelle Musikproduktion ersetzt. Der DJ und VJ ist als neuer Künstlertypus entstanden. Digitalisierung und Nutzer-freundliche Programme verursachen eine Inflation der Massenkreativität, gerade unter Jugendlichen, und damit eine Situation, die eine künstlerische Reaktion auf den Plan ruft. So entstehen viele unkritische Arbeiten, die lediglich dem Bedürfnis nach visuellen Umsetzungen von (generiertem) Sound oder innovativen Sound-Interfaces nachkommen, aber auch ironische Kommentare wie Chris Csikzentmihályis maschineller „DJ-I-Robot“.

Die jugendlichen Mediennutzer adaptieren neue Technologien schnell und setzen sie nach ihren Bedürfnisse ein. Die neuen medialen Arbeitsweisen und Umgebungen führen neue Formen der Rezeption nach sich. Junge medial geprägte Menschen verfügen bereits über ein anderes strukturiertes Wahrnehmungsvermögen, das faktisch die kulturelle Differenz zwischen den Generationen markiert. Dementsprechend hat die Medienkunst ein vorwiegend junges Publikum zwischen 20 und 40 Jahren, eine Altersgruppe also, die bereits während ihrer Ausbildung und in ihrer Freizeit medial sozialisiert wurde.

Medienkunst und Jugendkultur treffen sich also in nicht wenigen Punkten. Dies ist insbesondere zu betonen, wenn man die kulturelle Landschaft betrachtet, in der in starkem Maße Kultur für ältere Menschen staatlich unterstützt, wohingegen jugendkulturelle Aktivitäten in erster Linie unter der Überschrift „Subkultur“ verhandelt werden. Man wird in Zukunft darüber nachdenken müssen, ob sich eine solch traditioneller Kulturbegriff angesichts des medialen und gesellschaftlichen Wandels und der absehbaren Verschiebung der Relevanz zwischen den kulturellen Disziplinen überhaupt noch aufrecht erhalten lässt, und ob es nicht an der Zeit ist, statt Opernhäuser und historischer Museen, Gegenwartskultur in größerem Maße unter Berücksichtigung eines jüngeren und breiteren Publikums zu fördern.

Für diejenigen Organisationen, die sich jetzt schon mit Medienkunst und -kultur befassen, ist die Annäherung an die nächsten Generationen eine Herausforderung, der sie sich stellen sollten. Die Aufgabe, Medienkultur kritisch zu reflektieren, was im schnellen technologischen Wandel andernorts sonst kaum geleistet wird, sowie Medienkunst seriös zur Ausstellung zu bringen, und sich einem jüngeren Publikum zu öffnen ist, umfangreich. Aktuelle Medienkunst, die über die klassische Videokunst hinausgeht, und unter anderem mit Technologien arbeitet, die zu einem gewissen Teil auch im Leben der Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine große Rolle spielen, kommt im musealen Ausstellungskontext oder in der „Galeriekunst“ nur in geringem Maße vor. Momentan ist es in erster Linie den Festivals und unabhängigen Ausstellungsprojekten zeitgenössischer Kunst vorbehalten, mediale Kunst zu zeigen und den Bogen von der Jugendkultur zur Kunst zu schlagen. Final anzustrebendes Ziel jedoch einer zeitgenössischen Kulturpolitik muss es sein, einer Gettoisierung der Medienkunst im Festivalkontext entgegenzuwirken, und der digitalen (Jugend-)Kultur einen festen Platz im institutionellen Kontexten wie dem Kunstmuseum zu bieten.
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