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research
Selbstbildnis und Selbstverständnis in der Malerei der SBZ/DDR von 1945 bis in die achtziger Jahre

Die in der DDR entstandene große Zahl von Selbstporträts und die in der DDR-Kulturpolitik verankerte gesellschaftliche Rolle des Künstlers, der sich als Kulturarbeiter verstehen sollte und dessen kreativem Schaffensprozess die gleiche Wertigkeit wie alle anderen Arbeitsprozessen zugewiesen wurde, stehen in einem auffälligen Widerspruch zueinander. Die Kunst im realen Sozialismus besaß die staatlich zugewiesene Funktion, vor allem die Vorzüge des sozialistischen Gesellschaftsmodells zu repräsentieren. Doch eine Fülle von Selbstporträts zeugt von starker Ich-Bezogenheit und ist als Akt der Selbstbehauptung lesbar, die der Rolle des Künstlers, die ihm im Sozialismus vorgegeben wurde, in keiner Weise entsprachen.

Die Dissertation arbeitet heraus, dass, obwohl der Großteil der in der DDR lebenden Künstler sich in den sozialistischen Alltag und die gesellschaftlichen Strukturen einfügte, viele Selbstbildnisse tatsächlich ein von der sozialistischen Idee weit entferntes Selbstverständnis der Künstler zum Ausdruck bringen. Eine Vielzahl von Selbstporträts greift vielmehr traditionelle Künstlermythen auf, statt dem Idealbild vom sozialistischen Künstler zu entsprechen, und bezeugt den tief empfundenen Widerspruch zwischen der eigenen Person und der von außen an den Künstler heran getragenen Rolle.

Grundlage der Untersuchung sind vor allem gemalte und gezeichnete Selbstbildnisse aus den öffentlichen Sammlungen der ehemaligen DDR, und unveröffentlichte Dokumente aus den Archiven wie dem des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR, Publikationen der DDR sowie Gespräche mit ausgewählten Künstlern der DDR. Die Arbeit fokussiert auf die Ikonografie der in der DDR entstanden Selbstbildnisse, analysiert vor allem aussagestarke und metaphernreiche Gemälde.

Grundlegende Betrachtungen konzentrieren sich auf das Genre "Selbstbildnis" und die kunsttheoretische sowie die gesellschaftliche Basis des Kunstschaffens in der DDR, insbesondere auf die Methode des sozialistischen Realismus und die Phasen der DDR-Kulturpolitik, die kunstwissenschaftlichen Rezeption des Genres, des weiteren die Behandlung des Genres Selbstbildnis in Sammlungen, Ausstellungen und dem Kunststudium in der DDR.

Die Arbeit analysiert das Selbstbildnis in der DDR unter drei verschiedenen Aspekten: einerseits unter dem Gesichtspunkt der Adaption traditioneller Selbstbildnistypen, anderseits in bezug auf DDR-typische Künstlertopoi und -legenden, und drittens in Hinblick auf Gegenpositionen zur vorgegebenen, idealen Künstlerrolle im Sozialismus. Die Dissertation zeigt auf, dass die Mythenbildung in der kunstgeschichtlichen Praxis die Analyse von Selbtstporträts erschwert und das Selbstporträt keineswegs selbstverständlich als Innensicht des Künstlers funktioniert, da es auch zur Distanzierung von der eigenen Persönlichkeit benutzt wird. Es wird deutlich, dass die Kulturpolitik der DDR und ihre verschiedenen Phasen auch die Produktion von Selbstbildnissen insofern beeinflussten, als die anfängliche Vielfalt der sehr persönlichen Selbstdarstellungen zu Beginn der 50er Jahre zunehmend einer Darstellungsart weichen musste, die den Sozialismus propagierte. Erst in den 70er und 80er Jahren entstand eine Vielzahl von Gegenentwürfen zu dem postulierten Idealbild vom sozialistischen Künstler, die von der DDR-Kunstkritik nach anfänglicher Ablehnung als selbstbewusste und kritische Reife von Kunst und Künstler im Sozialismus gedeutet und dann auch in Ausstellungen behandelt wurde.

Als Methode lässt sich die Verwendung von Stellvertreterfiguren wie Narren und mythologischen Gestalten als Ventil und Schutz vor Eindeutigkeit benennen. Kampf ist ein zentrales Motiv des Selbstbildnisses in der Malerei der DDR. Ausgehend von der klassenkämpferischen Haltung des idealen, sozialistischen Künstlers, entwickelte sich aber auch eine kämpferische Attitüde, die sich gegen den Staat richtete. Der Mythos vom genialen, einsamen Künstler entspricht in keiner Weise dem Idealbild des sozialistischen Künstlers. Trotzdem finden sich häufig Metaphern dieses traditionellen Künstlermythos in Selbstbildnissen, ohne daß dieser Widerspruch in den sechziger Jahren öffentlich diskutiert worden wäre. Die zahlreichen selbstbewußten und eitlen Posen in Selbstbildnissen wurden von der Kritik akzeptiert, wenn der sich derart darstellende Künstler keine politische Gegenposition bezog. Eine Vielzahl von Selbstbildnissen verfolgt die Pathosformel des Leidens. Die darin oft zum Ausdruck gebrachte unterschwellige Rebellion findet sich auch bei denjenigen, die nicht zu den unterdrückten Künstlern gezählt werden können.

Die komplette Dissertation findet sich als PDF im Online-Archiv der RWTH zum Download.