round corners
research
Urbane Kunst in Zeiten verlorener Privatheit

veröffentlicht in norwegisch in der Norwegischen Le Monde Diplomatique, Ausgabe März 2007 und in deutsch bei Telepolis

Welchen eindrücklicheren Beweis für die massive Veränderung von Privatheit und Öffentlichkeit durch den Gebrauch von mobilen Kommunikations- und Dokumentationsmedien gibt es als die verwackelten, mit einem Handy aufgenommenen Bilder von Saddam Husseins Hinrichtung, die sich aus dem Internet in die globale Medienwelt ergossen? Die Existenz dieses Dokuments einer nicht öffentlichen Hinrichtung wäre vor ein paar Jahren wohl so nicht entstanden, doch in Zeiten von Videoaufzeichnung per Handy ist sie kaum zu verhindern; jedenfalls überrascht sie nicht wirklich. Der Einsatz eines Videohandys, die Veröffentlichung von Bildern und Tönen eines nicht für die Öffentlichkeit gedachten Ereignisses, werden voraussichtlich weit reichende Folgen haben für die weitere politische Entwicklung im Irak. Und wir, die Öffentlichkeit, sind mit einer mediatisierten Realität konfrontiert, die angesichts des historischen Dokuments kaum noch Fragen nach dem Recht auf Privatheit, selbst im Moment des Todes, zulässt.

Dabei ist diese Aufhebung oder Verschiebung von Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem nicht zwangsläufig schlecht. Sie kann langweilig sein, wie uns die Big Brother Staffeln lehrten. Oder sie kann positive Auswirkungen haben wie Newsplattform Indymedia, die auf der Idee basiert, dass theoretisch jedermann zum Berichterstatter werden kann, und die Macht der Massenmedien durch einen unabhängigen Journalismus eingeschränkt wird. In einer Welt, in der theoretisch jeder dokumentieren, produzieren, senden und einen Teil der Öffentlichkeit erreichen kann, in Zeiten von YouTube und MySpace, scheint das traditionelle Verständnis von Öffentlichkeit und Privatheit überholt und es einer aktuellen Standortbestimmung und der Definition von neuen Schutzzonen zu bedürfen.

In der Stadt kristallisiert sich das sich wandelnde Verständnis von dem, was privat und öffentlich ist, bzw. als solches empfunden wird, durch die Wandlung von öffentlichen und privaten Räumen heraus. In den vergangenen Dekaden haben wir den konstanten Verlust öffentlichen Raumes beobachten können, der sich mit der Umwandlung von einst öffentlichen Räumen in semi-öffentliche Räume vollzieht. Die Privatisierung von z.B. Bahnhöfen und Plätzen, die Entstehung von öffentlich anmutenden, aber vollkommen privat kontrollierten „Shopping Malls“ und „Gated Communities“ stellen das konservative Verständnis von öffentlichem Raum als städtisch oder staatlich verwalteten und gestalteten Raum zunehmend in Frage.

Die Hauptkritik an diesen privatisierten Räumen mit quasi-öffentlichem Charakter richtet sich in erster Linie gegen den Ausschluss von Teilen der Öffentlichkeit. Als ein wesentliches Kriterium für öffentlichen Raum gilt die unentgeltliche Zugänglichkeit, unabhängig von anderen Faktoren wie Alter, Herkunft, sozialer Status usw. In privatisierten Räumen bestimmt der Eigentümer über die Zugänglichkeit und kann Gruppen von Menschen wie Obdachlose von einer Nutzung des Raumes ausschließen. Doch selbst wahrhaftig öffentliche Räume sind in einem hohen Maße durch staatliche Gesetze, zusätzliche lokale Verbote und komplizierte Genehmigungsverfahren geregelt, so dass das Ideal des öffentlichen Raumes als freier Bürgerraum in der Realität verblasst.

Dabei ist zu beachten, dass öffentlicher Raum ja nicht zufällig öffentlich, das heißt in städtischem oder staatlichen Besitz ist. Vielmehr ist dies so, da ein vorrangig gemeinschaftliches Interesse an einer kollektiven Nutzung des Raumes existiert, sei dies als Raum für Straßenverkehr, Handel in Form von Märkten, als Kommunikationsraum oder als sozialer Begegnungsraum. Um diese gesellschaftlich wichtigen Interessen zu schützen, bedarf es auch des Schutzes des öffentlichen Raumes und einer Politik, die ihre Verantwortung für die Gestaltung von öffentlichem Raum wahrnimmt, statt aus finanziellen Gründen die Entwicklung von immer mehr städtischem Raum privaten Investoren überlässt.
Schließlich verlieren wir durch die Zunahme von semi-öffentlichen Räumen und medial inszenierter Privatheit zunehmend das Bewusstsein für das Private und Öffentliche und unsere Rechte in diesen Räumen.

Heutzutage ist urbaner Raum ein überaus komplexer und dynamischer Raum, der sich nicht nur im Physischen und Sichtbaren, in Architektur und Städtebau konstituiert, sondern der eine immaterielle Ebene besitzt, die weniger sichtbar ist. Die Stadt ist zugleich ein dichter Datenraum, in dem über Radiowellen, Bluetooth oder andere kabellose Technologien ein permanenter Austausch von Daten stattfindet, durch die wir uns bewegen.
Dieser Datenraum, der in erster Linie private bzw. nicht öffentliche Informationen enthält und sich wie eine allgegenwärtige zweite Schicht über den physischen Raum gelegt hat, ist jedoch verhältnismäßig leicht attackierbar und verlangt nach einem bewussten Umgang mit diesen Technologien.

Hinzu kommt, dass die Allgegenwart von digitalen Medien in der Stadt, nicht nur in Form von mobilen Kommunikationsgeräten, sondern auch in zunehmendem Maße von digitalen Bildwänden und Mediatektur, also in Architektur implementierte Medien, den urbanen Raum massiv verändert und ihn zu einem Medienraum transformiert, in dem mehr denn je audiovisuelle Informationen miteinander konkurrieren. Überwachungssysteme bilden eine weitere stark verbreitete Gruppe von Medien in der Stadt, die nach und nach das Verständnis von öffentlichem Raum und Bürgerrechten beeinflusst. Die Durchdringung des städtischen Raumes und des Alltags mit derartigen Kontrolltechnologien, zu denen auch im weitesten Sinne die RFID-Technologie gezählt werden kann, führt letztendlich zu einer schleichenden Akzeptanz von Überwachung in allen Lebensbereichen.

---

Der von Medien bestimmte, konfliktreiche städtische Raum bietet für Künstler zahlreiche Anknüpfungspunkte für künstlerische Arbeit, insbesondere für diejenigen unter ihnen, die neue Technologien als künstlerisches Medium gewählt haben. Denn zum einen laden die urbanen Medien zur Intervention ein, zum anderen können computerbasierte Kunstwerke dynamisch und interaktiv sein und sich damit natürlich in den ebenfalls dynamischen und interaktiven urbanen Raum einfügen.

Doch muss Kunst, die den mediatisierten urbanen Raum thematisiert, nicht zwangsläufig in ihm stattfinden. Ein interessantes Beispiel für die Verschmelzung von physischem und digitalem öffentlichen Raum ist das Projekt i-See der amerikanischen Gruppe Institute for Applied Autonomy. i-See bietet seinen Nutzern die Möglichkeit einer Routenplanung, die möglichst vielen Überwachungskameras ausweicht. Leider existiert dieser Service derzeit nur für Manhattan, New York, der wie das Projekt vor Augen führt, eine extreme Dichte von Überwachungskameras im öffentlichen Raum aufweist, und für Ljubljana und Amsterdam.
Die Veröffentlichung der gesammelten Informationen zu Kamerastandorten im Internet hebt diesen in seiner Funktion als öffentlichen Raum hervor, der gestaltbar von und zugänglich für die Allgemeinheit ist.

Viele der medialen Kunstprojekte, die im urbanen Raum stattfinden, versuchen ebenso den öffentlichen Raum als gestaltbaren und freien Bürgerraum ins Bewusstsein zu rufen. Nicht selten sehen sich Projekte in der Tradition der griechischen Agora und proklamieren den öffentlichen Raum als Forum für Meinungsaustausch und politischen Ort. Der schweizerische Künstler Johannes Gees schafft auf dieser konzeptionellen Basis und in Anknüpfung an eine der erfolgreichsten städtischen Kommunikationsstrategien, dem Graffiti, künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum. Für die letztjährige Scape Biennale für Kunst im öffentlichen Raum in Neuseeland hat Gees eine temporäre Installation entwickelt, die einlud, sich mittels SMS-Messages an einem öffentlichen Gedankenaustausch über Religion zu beteiligen. An fünf Abenden wurden die eingehenden Statements und vorbereitete Texte des Künstlers auf eine Hochhausfassade auf dem Cathedral Square in Christchurch mit Laser projiziert. Der dort sichtbar werdende Dialog, der zwischen Banalität und Philosophie oszillierte, und mit ihm das ganze Genre von interaktiven bis partizipativen, oft spektakulären Medieninstallationen, fordert das bildungsbürgerliche Verständnis von Kunst heraus. In dieser Hinsicht einfacher haben es da Arbeiten von Jenny Holzer, in die bewusst kein interaktives Moment einbaut sind. Ihre Reihe von Xenon-Projektionen, die sie seit 1996 durchführt, bestehen aus Text-Projektionen auf Gebäudefassaden. 2004 bespielte sie im österreichischen Bregenz im Rahmen der Ausstellung Truth Before Power Fassaden verschiedener öffentlicher Gebäude mit meistenteils ehemals als geheim klassifizierten amerikanischen Regierungsdokumenten, welche die komplizierten politischen und ökonomischen Verbindungen der USA zum Mittleren Osten offenbarten, und so in die Öffentlichkeit gedrungen zum Nachdenken und Diskurs anregen sollten.

Das Verständnis von öffentlichem Raum als Schnittstelle von Privatem und Öffentlichem und als sozialer und politischer Interaktionsraum spiegelt sich auch in dem für seine Zeit, 1998, möglicherweise zu innovativen Projekt Karlskrona2 der dänischen Künstlergruppe Superflex. Karlskrona2 versuchte die virtuelle Verdoppelung der realen schwedischen Stadt Karlskrona und basierte auf dem Prinzip der Selbstorganisation. Bürger sollten mittels Avatare miteinander kommunizieren und waren aufgefordert, sowohl ihre virtuelle als auch in der Konsequenz in reale städtische Umgebung gemeinsam zu gestalten. Das virtuelle Karlskrona2 war nicht nur auf dem heimischen Internet-Computer zugänglich, sondern sollte auch auf digitalen Großbildwänden in der Stadt gezeigt werden, so dass auch Nicht-Teilnehmer die Handlungen nachvollziehen können sollten. Als politisches, soziales und ökonomisches Experiment angelegt, steht Karlskrona2, aber auch die anderen genannten Arbeiten, für eine zeitimmanente Stoßrichtung der Kunst: die Aufdeckung von gesellschaftlichen oder politischen Dysfunktionen und die Aktivierung von Diskurs und gestaltendem Handeln. So innovativ und experimentell derartige Interventionen sind, so mag sich doch die Frage aufdrängen, ob die Kunst damit zu bereitwillig diese Rolle übernimmt und in der Folge zum bloßen Ventil verkümmert, wenn diese Themen nicht auf einer breiteren gesellschaftlichen Ebene bearbeitet werden. Dem wäre zu entgegnen, dass obwohl die Wirkung solcher Projekte nicht überprüft werden kann, so doch außer Zweifel steht, dass sie positiv zu einem gesellschaftlichen Klima beitragen.

---

Die Wiederentdeckung des öffentlichen Raumes als künstlerisches Handlungsfeld abseits von städtisch oder staatlich geförderter Monumentalkunst mag auch eine Reaktion sein auf das Überangebot kommerziell geprägter visueller Information im Stadtraum. Mit der Verbreitung von digitalen Großbildwänden, die sich global, insbesondere aber gerade zum Beispiel in China vollzieht, erhält der Stadtraum eine neue Dimension: Bewegtbild und Klang addiert sich zur schon vorhandenen dynamischen audiovisuellen Umgebung und feuern nahezu kontinuierlich Kaufanreize auf das Wahrnehmungssystem. Kunst im öffentlichen Raum wird in Zukunft mehr denn je die Aufgabe haben, in dieser speziellen räumlichen Situation Inseln des Anderen, der Konfrontation, Kontemplation und sozialen Interaktion, zu schaffen und als Schnittstelle zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft zu fungieren.


Links:

YouTube

MySpace

Indymedia

Institute for Applied Autonomy: i-See

Jenny Holzer: Truth Before Power (see past exhibitions 2004)

Johannes Gees

Scape Biennial of Art in Public Space

Superflex: Karlskrona2



 download des Essays als PDF (87.1 KB)