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Wie global ist Medienkunst?

Die transmediale.03 stand unter dem Motto „play global!“, das als Aufforderung an Künstler zu verstehen war, sich der Globalisierung und ihren Herausforderungen zu stellen. Auch ein anderes großes Festival für Medienkunst in Europa, die „Ars Electronica“ in Österreich, widmete sich 2002 der Frage nach der Tiefe des „digital divide“ und untersuchte die Möglichkeiten dessen Überwindung.

Beide Veranstaltungen dokumentierten eindrücklich, dass Künstler sich durchaus der Globalisierung und ihrer zahlreichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen bewusst sind und mit künstlerischer Arbeit dazu Stellung nehmen. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die Britin Beatrice Gibson, derzeit wohnhaft in Mumbai, Indien, die mit ihrem Online-Projekt nungu die Absurdität von in Indien praktizierter Telearbeit vorführt: Indische Telefon-Operator werden trainiert, mit europäischen oder amerikanischen Akzenten Englisch zu sprechen, um ihre Herkunft zu verschleiern und dem Anrufer vorzutäuschen, er telefoniere mit einer Agentur in seinem eigenen Land. Das Projekt „nungu“ offenbart das Dilemma, in dem sich die zunehmend globalisierten Gesellschaften befinden: Zwar haben sich die Vehikel der Globalisierung, wie Computer und Internet, so weit entwickelt, dass sie Dienstleistungen in relativer Unabhängigkeit vom Ort möglich machen, doch der Mensch in seiner psychologischen Konstruiertheit hat das Bedürfnis nach kultureller Heimat.

So ist denn auch das genannte künstlerische Projekt mehr Ausdruck und Indiz einer globalen Ökonomie denn einer globalen Kultur - einer Ökonomie, in der Unternehmen global agieren und in Ländern mit geringem Lohn produzieren lassen, in der Waren nicht mehr aus dem Hinterland in die Städte transportiert werden, sondern von anderen Kontinenten stammen.
Doch existiert schon so etwas wie eine globale Kultur, also eine veränderte, konformisierte Kultur, die in der Vereinheitlichung wichtiger Lebensbereiche und der Techniken ihrer Bewältigung erkennbar ist? Ist sie die zwangsläufige Folge einer zunehmenden Mischung unterschiedlichster Kulturen bzw. der Dominanz von einer Kultur über eine andere? Sind wir auf dem Weg zu einer Nihilierung kultureller Individualität zugunsten eines globalen Kulturgemenges? Vieles scheint darauf hinzudeuten, dass die mediale Vernetzung, die Ballung von Medienmacht auf wenige Konzerne und das Schrumpfen räumlicher Distanzen durch schnellere Transportmittel zu einer stärkeren Vermischung von Kulturen führt als es sie jemals gab. Gegenbewegungen wie der religiöse Fundamentalismus indizieren ebenso den Prozess der kulturellen Globalisierung.

Doch wie weit geht die kulturelle Vereinheitlichung wirklich, und wie sorgfältig gehen wir mit den kulturellen Unterschieden tatsächlich um? Bleiben wir bei Medienkultur und medienkünstlerischer Praxis:
Das Internet, bei seiner Geburt als demokratisches Zukunftsmedium gehandelt, bleibt bisher einer Minderheit der Weltbevölkerung vorbehalten. Die Produktion von digitaler Kunst ist mühevoll bis unmöglich in den meisten Teilen der Welt. Die geografischen Zentren medialer Kunstproduktion decken sich mit der Verteilung der Einkommen, des Zugangs zu Bildung und Gesundheitsleistungen.

Das Beispiel generative Kunst, die als künstlerisches Genre noch diskutiert wird, macht die Abhängigkeit vom kulturellen Kontext, in dem sie entsteht, deutlich. In der generativen Kunst wird Code als Basis künstlerischen Ausdrucks verstanden. In ihr manifestiert sich die Anerkennung des schöpferischen Potentials von Code. Doch Indien, ein Hauptproduzent von Software weltweit, ist bislang noch ein weißer Fleck auf der Landkarte der generativen Kunst, und dies wohl aus mehreren Gründen: Zum einen aufgrund der dortigen Dominanz des Verständnisses von Software als reinem Werkzeug sowie aufgrund einer künstlerischen Tradition, die sehr dem Narrativen verbunden ist.
Diesen geografischen Differenzierungen in der Entwicklung von Medienkunst, die sich aufgrund von lokaler Kultur und des Grads des technologisch-ökonomischen Fortschritts ausprägen, steht andererseits eine recht einheitliche digitale Kunst gegenüber, die relativ unabhängig von ihrer geografischen Herkunft stark von medialen und technologischen Spezifika geprägt ist - höchwahrscheinlich eine Folge der Orientierung an international präsentierten Arbeiten oder in dem Phänomen begründet, dass viele Kreative aus sich selbst und den spezifischen Möglichkeiten der Technik heraus, zu gleichen oder zumindest ähnlichen künstlerischen Lösungen kommen.

Diese Analogien, die auch gern euphemistisch als die globale Sprache der Medienkunst beschrieben werden, sollten letztlich eine Herausforderung für Künster darstellen, mit mehr Selbstbewußtsein ihre lokale Kultur in den Vordergrund zu stellen und sich weniger von den Technologien und künstlerischen Praktiken anderer dominieren zu lassen: also „play local!“ im besten Sinne!

Der Katalog, in dem dieser Text in deutsch und spanisch veröffentlicht wurde, steht in einer Version als PDF zum Download bereit.
 PDF Ausstellungskatalog transmediale_extended vol.1 (938.2 KB)