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Neue Distributionsformen - eine Einleitung

Von je her spielte für Künstler die Distribution ihrer Arbeit eine wichtige Rolle in ihrer künstlerischen Existenz. War das Kunstwerk auch oft ohne Rücksicht auf eine mögliche Verbreitung konzipiert, so stellte sich spätestens nach der Fertigstellung der Arbeit die Frage nach einem Betrachter- oder Rezipientenkreis, nach einem Ort der Präsentation oder dem kommerziellen Wert und der Verkäuflichkeit der Arbeit.
Mit den neuen vernetzen Medien ändert sich die Situation insofern, als in vielen Fällen das Produktions-, Präsentations- und Distributionsmedium eins ist, es somit unvermeidlich ist, die Distribution in die Konzeption des Werkes einzubeziehen. Die Netzkunst der 90er Jahre entspricht in ihrem Großteil vollends dem Konzept des geeinten Mediums.

Von der Möglichkeit der Verbreitung des digitalen Kunstwerkes durch das Internet ausgehend haben sich bis heute vielfältige Kunstformen mit unterschiedlichem Interaktionspotential herausgebildet: Von gänzlich linearen Videomails, also eigens für die Verschickung über Emails geschaffene, kurze Videoarbeiten, bis hin zu kollaborativ geschaffenem Hypertext spannt sich ein weiter Bogen künstlerischer Arbeit, deren Vor- und Nachteil gleichzeitig ihre Zugänglichkeit über das Netz ist.
Kollaborative Schaffensprozesse im Netz verlieren im künstlerischen wie auch im Business-Bereich nach und nach ihre Ungewöhnlichkeit und werden zu selbstverständlichen Handlungsformen, die wiederum die Frage nach einer klar definierten Autorenschaft aufwerfen.

Vom Distributionsweg Internet machen jedoch nicht nur Medienkünstler mit ihrer speziell für das Netz produzierten Arbeit Gebrauch, sondern auch jene, die künstlerische Produkte tauschen, die eigentlich nicht für eine derartige Verbreitung vorgesehen waren. Filesharing und Napster sind hierbei die Schlüssel- und Reizwörter. Ob die Bereitstellung von digitaler Musik im Netz, die nicht vom Künstler selbst initiiert und gewollt ist, eine kriminelle Handlung ist, ist die Kernfrage, deren Beantwortung Weichen stellend ist für eine mögliche Neudefinition von Copyright im digitalen Zeitalter und von äußerster Brisanz in Hinblick auf das Urheberrecht, die digitale Praxis und Netzökonomie.

Während diejenigen Musiker, die sich erfolgreich in der traditionellen Musikindustrie behaupten, das Internet und seinen Einfluss auf den kommerziellen Erfolg ihrer Arbeit fürchten, entsteht für die große Zahl derer, die nicht durch ein Label vertreten werden, durch die globale Vernetzung von Computern eine Chance: Ihnen bietet sich das Internet als unabhängiges Veröffentlichungs- und Vermittlungsmedium an, als Hort für Nischenkultur. Gerade im Bereich der Musikkultur, die zum großen Teil von einem durch kommerzielle Interessen geprägten Markt bestimmt wird, gab es auch schon vor dem Internet alternative Distributionswege, die sich nach dem jeweiligen Stand der Technik richteten. Es zeichnet sich hier das Paradigma ab, dass Nischenkultur sehr schnell in freie Räume eindringt und von dort aus ihrem kreativen Potential entsprechend auf die von der breiten Masse geprägten und akzeptierten Kultur Einfluss nimmt. Diese Prozesse haben sich durch das Internet deutlich beschleunigt und globalisiert.

Für digitalen oder digitalisierten Sound und Text scheint das Internet ein ideales Medium der Verbreitung zu sein, jedoch steht zwischen Verbreitung und Verkauf bis heute noch vor allem das Problem der Akzeptanz durch die Internet-Nutzer. Solange sich also noch keine praktikablen Formen von Micropayment durchsetzen, weil es gleiche oder ähnliche Content-Angebote im Netz umsonst gibt, wird die vorrangige Motivation eines Künstlers, seine Arbeit im Netz zu veröffentlichen, sein, ein Publikum für sich zu gewinnen und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ohne dabei einen direkten wirtschaftlichen Nutzen daraus erfahren zu können.

Die Veröffentlichung von künstlerischer Arbeit im Netz besitzt, möglicherweise auch unabhängig von der tatsächlichen Aufmerksamkeit, die sie zu generieren vermag, mittlerweile eine so große symbolische Bedeutung, dass sie auch diejenigen kommerziellen Distributoren anlockt, die ursprünglich offline distribuieren: Cross-mediales Publishing verspricht den Zugang zu verschiedenen Publika und im besten Falle eine positive indirekte Wirkung auf das Offline-Geschäft - die Grenze zwischen Publishing und Marketing ist hierbei nicht mehr genau abzustecken. Verlage und Plattenfirmen haben diesen Kurs längst eingeschlagen, die Filmindustrie versucht ebenfalls, sinnvolle Strategien zu entwickeln, ohne Gefahr zu laufen, einen Markt ohne finanziellen Rücklauf zu bedienen.
Zusätzlich verhindert der aktuelle Stand der Übertragungstechnik immer noch eine intensivere Verbreitung von visuell komplexen Arbeiten. Das Realplayer-Fenster im Visitenkartenformat sowie die langen Download-Zeiten unterstützen nicht gerade die Innovation auf diesem Gebiet. Was sich vielmehr aus den technischen Beschränkungen entwickelt, ist ein Aufblühen einfacher visueller Konzepte wie beispielsweise eigens für die Veröffentlichung im Netz geschaffene Videos, die allerdings nicht durch ästhetische Innovation geprägt sind - und, sozusagen als Gegenbewegung zum hochauflösenden Videobild, die Flash-Animation, die an die visuelle Sprache des Comics anknüpft.

Gleichzeitig fordert die technische Warteschleife, in der sich die Künstler nun schon seit geraumer Zeit befinden, neue Konzepte einer Internet-unabhängigen Distribution von Bewegtbildern heraus, und sei es über das alte „neue“ Medium des Fernsehens, das sich durch die Digitalisierung in den letzten fünf Jahren zu einem eigenen Netz entwickelt hat, in dem die Vielfalt allerdings immer noch zu wünschen übrig lässt. Eine durch Satellitentechnik theoretisch globale, in der Praxis immerhin internationale breitbandige Distribution von Bewegtbildern erscheint einigen Künstler jedenfalls reizvoller und praktikabler als das technisch beschränkte Internet. Zudem ist die Einheit von „Betrachteroberfläche“ und „Arbeitsinterface“ Computermonitor für viele künstlerische Arbeiten nicht ideal.
Eine derartige Distribution über das Fernsehen, einen möglichen „Kunstkanal“, auf dem dann idealerweise rund um die Uhr künstlerische Bewegtbildarbeiten zu sehen sind, schließt bewusst die „Errungenschaften“ der interaktiven Medien aus: den gezielten Zugriff auf Inhalt zur selbstbestimmten Zeit und das aktive Navigieren durch Inhalte statt des bloßen passiven Konsumierens. Zwar hat sich die Vorstellung vom aktiven, selbstbestimmten und ständig forschenden, medialen Menschen längst relativiert, und man musste erkennen, dass die Sehnsucht nach passiver Rezeption mindestens genauso groß ist wie die nach Interaktion, zweifelsohne jedoch nutzen einige Bewegtbild-Projekte im Netz, zum Beispiel im Bereich des datenbankbasierten Broadcastings, die derzeitig beschränkten Mittel ideal und bieten eine reizvolle Möglichkeit der Vermittlung von Inhalten.

Mit dem Begriff des Distribuierens verbindet sich als Handlung das Verteilen. Angewandt auf das Internet klafft jedoch eine Lücke zwischen Zugang bieten und der tatsächlichen Verteilung, im Sinne von „vermitteln“ und „etwas zu einer Person tragen“. Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Umstand ein weiterer Grund, warum Netzkunst – wenn auch nicht tot, wie Mark Amerika provozierend behauptet, so doch für die Netznutzer wesentlich unattraktiver und schwieriger zu finden ist als in den Anfangsjahren der Netzkunst prognostiziert.
Da also im eigentlichen Sinne nicht „verteilt“ werden kann, sondern nur Zugang gewährt wird, ist die Auffindbarkeit von Inhalten im Netz zu einer der Hauptaufgaben der Distribution geworden. Die Vereinigung von kleinen Datenbanken auf einer großen Plattform ist die gängigste Art, möglichst viele Nutzer an sich zu binden. Doch als große Hürde erweist sich hierbei die Kompatibilität von Daten aus verschiedenen Datenbanken und ihre Auffindbarkeit durch eine gemeinsame Suchmaschine.
Eine Suchmaschine kann immer nur so gut sein wie das Archiv, auf das es zugreift, demnach gilt es, Archivsysteme zu entwickeln, die auf einer sinnvollen und komplexen Verschlagwortung von Bewegtbild- und Sound-Content basieren. Von dort aus ist der Schritt zu einer Nutzerpräferenzen berücksichtigenden Suchmaschine oder einem Empfehlungsservice theoretisch nicht mehr weit.

In welch hohem Maße neue Wege der Distribution von der technischen Entwicklung abhängig sind, ist offensichtlich. Und als elementare Voraussetzung für optimierte Distributionsformen im Netz sind nicht nur Breitband, neuartige Archivsysteme und Suchmaschinen zu nennen, sondern auf einer Ebene darunter die Offenlegung von Quellcode, die es ermöglicht, Schnittstellen vielfältiger als bisher nutzbar zu machen. Ist die Programmierung beispielsweise einer Archiv-Software bekannt, fällt die Verknüpfung mit anderen Softwaremodulen leichter, steigt die Kompatibilität des Ganzen deutlich.

Sicherlich steht hinter den vielen Bemühungen, künstlerischen Content im Netz adäquat und nutzerfreundlich zu distribuieren, der Wunsch, in naher Zukunft und mit den entsprechenden Systemen ausgestattet, tatsächlich einmal auch einen ökonomischen Wert daraus zu schöpfen. Doch wohin sich die Distribution entwickeln wird, in die Richtung des komplett kommerziellen Distributionswahns, der dann noch nicht einmal mehr vor öffentlichen Content-Anbietern halt macht - oder in die Richtung von zwei Parallelwelten, die eine voll von nicht-kommerziellen Content-Anbietern, die andere bestimmt von Cash und Download - ist immer noch nicht abzusehen.